OLG Köln, Urteil vom 13.12.2018 – 28 U 6/18
mit Anmerkungen von Rechtsanwalt Gereon Gemeinhardt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Erbrecht, Steuerberater, dhpg Partnerschaftsgesellschaft mbB, Bornheim
Leitsatz des Autors
Zur Auslegungsfähigkeit und Auslegung eines in einem Grundbesitz- und Betriebsübertragungsvertrag zugunsten der Übergeber für den Fall der zustimmungslosen Verfügung über den Grundbesitz vorbehaltenen Rücktrittsrechts im Falle der Vornahme eines Grundstückstausches durch die Erwerber im Rahmen eines Flurbereinigungsverfahrens
Der Sachverhalt
Die Klägerin hatte gemeinsam mit ihrem vor Klageerhebung verstorbenen Ehemann durch notariellen Vertrag im Jahre 1991 einen landwirtschaftlichen Betrieb einschließlich des dazu gehörenden, streitgegenständlichen Grundbesitzes sowie – mit geringen Ausnahmen hinsichtlich des Inventars und eines Pkw – einschließlich der übrigen Wirtschaftsgüter auf ihren Sohn übertragen. Als Gegenleistungen wurden ein lebenslängliches Wohnrecht, ein umfassender, lebenslänglicher Nießbrauch am gesamten Übertragungsobjekt sowie Pflegeverpflichtungen zugunsten der Veräußerer vereinbart. Daneben wurde dem Erwerber ein Vorpachtrecht an dem übertragenen Grundbesitz eingeräumt, von dem dieser Gebrauch machte. Die Beklagte ist die Ehefrau des vorverstorbenen Erwerbers als dessen Erbin. Der übertragene Grundbesitz wird von ihr weiterhin gepachtet.
Bestandteile des Übertragungsvertrages waren darüber hinaus lebenslängliche Widerrufs- und Rücktrittsrechte zugunsten der Veräußerer. Neben den Fällen einer Insolvenz des Erwerbers, der Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, dem Vorversterbensfall des Erwerbers, ohne leibliche Abkömmlinge zu hinterlassen, und der Verletzung der Pflegeverpflichtung, sollte nach dem Übertragungsvertrag insbesondere ein Widerrufs- und Rücktrittsrecht bestehen, „wenn über den Veräußerungsgegenstand ganz oder teilweise ohne Zustimmung des Veräußerers bzw., wenn dieser vor seinem miterschienenen Ehegatten verstirbt, ohne deren Zustimmung verfügt wird.“ Darüber hinaus enthielt der Übertragungsvertrag folgende Regelung: „Nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten befindet sich der veräußerte Grundbesitz nicht in einem Umlegungsverfahren, nicht in einem Flurbereinigungsverfahren, nicht in einem sonstigen oder ähnlichen Verfahren. Unabhängig davon, ob und inwieweit ein solches Verfahren besteht, hätte der Erwerber gegebenenfalls in diese mit allen Rechten und Pflichten einzutreten.“
In einem durch die Klägerin und ihren Ehemann im Jahre 2002 errichteten Testament stellten diese fest, dass die streitgegenständliche Übertragung im Wege der vorgezogenen Erbauseinandersetzung unwiderruflich sei.
Durch Beschluss der Bezirksregierung aus dem Jahre 2006 wurde der streitgegenständliche Grundbesitz Gegenstand eines Unternehmensflurbereinigungsverfahrens, nachdem bereits Ende der 1970er Jahre Teile des landwirtschaftlichen Betriebes der Veräußerer für den Braunkohle-Tagebau in Anspruch genommen worden waren und die Veräußerer in den 1990er Jahren die Zustimmung zur Veräußerung von Grundbesitz durch die Erwerber erteilt hatten.
Im Jahre 2011 kam es auf der Grundlage eines im Flurbereinigungsverfahren erstellten Gutachtens, das den Wert der auf dem streitgegenständlichen Grundbesitz befindlichen baulichen Anlagen mit zunächst 97.314,00 € feststellte, zu einem mit Protokoll vom 11.10.2011 festgehaltenen Grundstückstausch zwischen den Erwerbern und einem Unternehmen, in dem ebenfalls vereinbart wurde, dass – wegen einer Mehrzuteilung zugunsten der Erwerber bei anderen Flächen – abweichend vom Gutachten lediglich eine Entschädigung von 51.085,51 € für die baulichen Anlagen gezahlt werde, diese Einigung unwiderruflich sei und auf Rechtsmittel im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens verzichtet werde.
Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, 2012 erstmals durch die Bezirksregierung von der Durchführung des Flurbereinigungsverfahrens informiert worden zu sein. 2014 habe sie nähere Informationen erhalten und erst 2015 von der Zahlung der Entschädigung, der Mehrzuteilung des durch die Beklagte durchgeführten Grundstückstausches Kenntnis erlangt. Dabei seien Mehrzuteilung und Grundstückstausch im Rahmen des Flurbereinigungsverfahrens als Verfügungen über das Übertragungsobjekt ohne Zustimmung der Veräußerer zu werten, sodass ihr das vertraglich vereinbarte Widerrufs- und Rücktrittsrecht zustehe, das sie mit der Klage in Form der (Rück-)Übertragung des Grundbesitzes und Herauszahlung der Entschädigung durchzusetzen beabsichtigte.
Das Urteil
Während das erstinstanzliche Gericht dem Klagebegehren der Klägerin noch mit dem Argument, die Verhandlungen der Erwerber im Flurbereinigungsverfahren, die zur Übereignung von Grundstücken und zu einer Entschädigung geführt hätten, seien als Kauf bzw. Tausch und damit vertragswidrige Verfügung über das Übertragungsobjekt anzusehen, entsprochen hatte, wies das Oberlandesgericht Köln die Klage ab.
Im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB sei der Vertrag dahingehend auszulegen, dass die Erwerber berechtigt waren, ihre Rechte als Eigentümer in einem Flurbereinigungsverfahren auszuüben, ohne dass die Veräußerer berechtigt gewesen wären, sich auf eine mangelnde Zustimmung zu berufen und die Rückabwicklung des Vertrages zu verlangen. Die folge daraus, dass die Vertragsparteien eine besondere Regelung für den Fall der Durchführung eines Flurbereinigungs- oder ähnlichen Verfahrens, das bei Vertragsschluss bereits eingeleitet, ihnen aber nicht bekannt war, im Vertrag vorgesehen haben, die den weiteren Vertragsinhalt insoweit ergänzt und präzisiert. Für diesen Fall sollte der Erwerber aber nicht nur die Pflichten übernehmen, sondern auch alleine über die damit verbundenen Rechte verfügen. Diese Regelung sei auch in dem – im Vertrag nicht explizit geregelten – Fall anzunehmen, in dem ein Flurbereinigungs- oder ähnliches Verfahren erst nach Übertragung des Grundbesitzes betrieben wird. Hinzu komme, dass die Erwerber gegenüber den Veräußerern auch einen Anspruch auf Zustimmung zu dem Grundstückstausch in der Flurbereinigung gehabt hätten, weil es den Veräußerern an einem schutzwürdigen, vertraglich zugesicherten Eigeninteresse fehle. Angesichts der Tatsache, dass den Veräußerern ein Widerrufs- und Rücktrittsrecht nicht zustand und damit kein Rückgewährschuldverhältnis entstehen konnte, könne die Veräußerin auch nicht die Herauszahlung des Entschädigungsbetrages verlangen; und zwar auch nicht aufgrund des ihr vertraglich eingeräumten Nießbrauchrechts.
Urteilsanmerkungen
Die zutreffende Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln zeigt die Risiken bei der Formulierung von in der Landwirtschaft üblichen Rückübertragungsrechten und dient damit auch der Bestimmung der Grenze zwischen den aus schutzwürdigen Eigeninteressen der übergebenden Generation möglichen Rückübertragungsrechten und dem Interesse der übernehmenden Generation an einer eigenständigen, ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des übergebenden Vermögens.
Aufgrund der im Vertrag enthaltenen besonderen Regelung für den Fall, dass bei Vornahme der Übertragung ein den Parteien unbekanntes Flurbereinigungs- oder ähnliches Verfahren eingeleitet gewesen wäre, hatten die Parteien erkennen lassen, dass sie über die Möglichkeit der Auswirkungen solcher Verfahren auf die Betriebs- und Grundbesitzübertragung verhandelt hatten. Der vertraglich ungeregelte Fall der Durchführung eines solchen Verfahrens nach Übereignung des Grundbesitzes stellte damit eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit dar, die darauf zurückzuführen war, dass die Parteien an einen bestimmten regelungsbedürftigen Punkt nicht gedacht hatten, ohne dass die getroffene Regelung nach dem Willen der Parteien bewusst abschließend sein sollte (vgl. OLG Köln vom 13.12.2018 – 28 U 6/18, Tz. 25 m.w.N. – zitiert nach beck-online).
Die Ergänzung dieser Regelungslücke erfolgt auf der Grundlage des hypothetischen Parteiwillens, also danach, was die Parteien bei angemessener Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (vgl. BGH vom 24.1.2008 – III ZR 79/07), wobei auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und die im Vertrag enthaltenen Regelungen als Wertungsmaßstab anzuknüpfen ist und mit Treu und Glaube und der Verkehrssitte objektive Maßstäbe zu berücksichtigen sind (vgl. BGH vom 25.11.2004 – I ZR 49/02).
Vor diesem Hintergrund kommt das Oberlandesgericht zu dem Ergebnis, dass die im Jahre 1991 für den Fall des „unbekannten“ Flurbereinigungsverfahrens getroffene vertragliche Regelung auch für den Fall des nach Übertragung durchgeführten Flurbereinigungsverfahrens gelten sollte, denn die Wertung der Vertragsparteien im Jahre 1991 war, dass Vereinbarungen, die im Rahmen eines Flurbereinigungsverfahrens getroffen werden, an dem der Erwerber des Jahres 1991 beteiligt ist, keiner Zustimmung des Veräußerers des Jahres 1991 bedurften und damit nicht zum Rücktritt berechtigten (vgl. OLG Köln vom 13.12.2018 – 28 U 6/18, Tz. 28 – zitiert nach beck-online).
Hinzu komme, dass ein Grundbesitzwechsel infolge eines Flurbereinigungsverfahrens – anders als die übrigen vorbehaltenen Rückübertragungsrechte – kein schutzwürdiges Eigeninteresse des Veräußerers des Jahres 1991 vermittele. Denn während in den weiteren Fallkonstellationen, in denen ein Rücktrittsrecht entstehen sollte, der Veräußerer des Jahres 1991 in seiner eigenen Rechtstellung unmittelbar und grundlegend betroffen und benachteiligt sei, tritt im Flurbereinigungsverfahren an die Stelle des bisherigen Grundbesitzes ein (zumindest) gleichwertiger Grundbesitz, an dem im Übrigen der vorbehaltene Nießbrauch fortbesteht (vgl. OLG Köln vom 13.12.2018 – 28 U 6/18, Tz. 29, 34 – zitiert nach beck-online).
Es wäre zudem treuwidrig, wenn in der Konstellation, in der im Rahmen und auf der Grundlage eines hoheitlich betriebenen Flurbereinigungsverfahrens an die Stelle des bisherigen Grundeigentums ein gleichwertiges Grundeigentum tritt, dies eine Grundlage für einen Rücktritt und eine Rückabwicklung des Vertrages begründen könne. Ein schutzwürdiges Eigeninteresse der Klägerin, das nach den Wertungen des Vertrages aus den weiter vereinbarten Rückübertragungsrechten erkennbar Voraussetzung für einen Rücktritt sein sollte, bestünde hier nicht, sodass aus dem Grunde auch ein Anspruch der Erwerber auf Zustimmung zu den Inhalten des Flurbereinigungsverfahrens bestanden hätte (vgl. OLG Köln vom 13.12.2018 – 28 U 6/18, Tz. 30, 31 – zitiert nach beck-online).
Diese Argumentation des Oberlandesgerichts überzeugt. Insbesondere beschränkt sich das Oberlandesgericht darauf, die im Vertrag enthaltene Regelungslücke alleine aus den weiteren Inhalten des Vertrages und objektiven Kriterien unter dem Maßstab von Treu und Glauben zu schließen; das von den Veräußerern im Jahre 2002 errichtete Testament, in dem die Übertragung des Jahres 1991 als unwiderruflich erklärt wird, spielt insoweit ebenso wie die durch die Erwerber in der Vergangenheit mit Zustimmung der Veräußerer vorgenommenen Grundbesitzverkäufe in der Urteilsbegründung keine Rolle.
Praxishinweise: Warum die Parteien seinerzeit die Sonderregelung für den Fall „unbekannter“ Flurbereinigungsverfahren in den Vertrag mit aufgenommen haben, lässt die Entscheidung offen. Entscheidend ist, dass mit dieser Sonderregelung die ergänzende Vertragsauslegung möglich war. Für die Praxis bedeutet dies zunächst, dass – wenn ein weitreichender Verfügungsvorbehalt zugunsten der übergebenden Generation gewollt ist – alle Fallgruppen, in denen der Verfügungsvorbehalt greifen soll, einschließlich ihrer Rechtsfolgen im Übertragungsvertrag genannt und geregelt werden.
Denn die Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln lässt zwar zunächst solche Rücktrittsvorbehalte, die mit einem schutzwürdigen Eigeninteresse der übergebenden Generation begründet werden können, ausdrücklich zu. Hierzu gehört wohl auch der Rücktrittsvorbehalt einer Verfügung über den Grundbesitz ohne Zustimmung des Übergebers; und zwar insbesondere dann, wenn dieser – wie beispielsweise bei der Belastung mit Grundpfandrechten – unmittelbar und grundlegend in seiner eigenen Rechtstellung betroffen oder benachteiligt ist. Zugleich kann die Entscheidung aber auch so verstanden werden, dass in den Fällen, in denen es bei einer Verfügung über Grundbesitz zu einer gleichwertigen Gegenleistung, also jedenfalls bei Grundstückstäuschen im Rahmen von Flurbereinigungs- oder vergleichbaren Verfahren, kommt, ein Anspruch des Erwerbers auf die vorbehaltene Zustimmung der Übergeber besteht, weil das den Vorbehalt rechtfertigende schutzwürdige Eigeninteresse nicht ausreichend verletzt wird.
Insoweit dient die Entscheidung auch der Bestimmung der Grenze zwischen aus schutzwürdigen Eigeninteressen der Übergeber gerechtfertigten Vertragsgestaltungen auf der einen Seite und einer gegebenenfalls drohenden Nichtgenehmigung des Übergabevertrages wegen Überschreitung des Verbotes der ungesunden Verteilung von Grund und Boden gemäß § 9 Abs. 1 Ziff. 1, Abs. 2 GrdstVG auf der anderen Seite, weil der Erwerber ggf. in nicht vertretbarer Art und Weise in seiner eigenständigen ordnungsgemäßen Betriebsführung eingeschränkt wird (vgl. hierzu auch Graß, in: ZEV 2019, 399, mit Hinweis auf AG Beckum, Beschluss vom 28.8.2017 – BLw 5/15). Im Rahmen der Vertragsgestaltung wird man bei weitreichenden Verfügungsvorbehalten hier besonderes Augenmerk an den Tag legen müssen.