BFH, Urteil vom 28.09.2022 – II R 32/20
Mit Anmerkungen von Sebastian Sträter, Dipl.-Finanzwirt und Steueramtsrat im Niedersächsischen Finanzministerium
Leitsatz
Veräußert eine erschließungspflichtige Gemeinde ein Grundstück und übernimmt der Erwerber dabei die vertragliche Verpflichtung, für die zukünftige Erschließung des Grundstücks einen bestimmten Betrag zu zahlen, ist Gegenstand des Erwerbsvorgangs regelmäßig nur das unerschlossene Grundstück.
Der Sachverhalt
Mit notariell beurkundetem Kaufvertrag erwarben die Klägerin/Revisionsklägerin (Klägerin) und ihr Ehemann im Jahr 2018 von der erschließungspflichtigen Gemeinde ein unbebautes und nicht erschlossenes Grundstück zu Miteigentum. Der Vertrag nennt einen Gesamtpreis und splittet den Kaufpreis in einen Teilbetrag für den verkauften Grund und Boden und in einen weiteren Teilbetrag für die Erschließungskosten auf. Im Vertrag ist geregelt, dass in den Erschließungskosten sämtliche bereits erbrachten und noch zu erbringenden Kosten der Ersterschließung enthalten seien.
Das Finanzamt (FA) setzte die Grunderwerbsteuer auf den Gesamtpreis unter Einbeziehung der Erschließungskosten fest. Sowohl der hiergegen eingelegte Einspruch als auch die Klage vor dem Finanzgericht (FG) blieben erfolglos. Laut FG sei der Kaufvertrag angesichts des einheitlichen Kaufpreises dahin auszulegen, dass die Gemeinde den Käufern das Grundstück im erschlossenen Zustand zu verschaffen habe. Das Verbot, zivilrechtliche Vereinbarungen über die öffentlich-rechtliche Erschließungslast zu treffen, rechtfertige es nicht, in der Klausel betreffend die Erschließungskosten statt einer Gegenleistungsvereinbarung eine öffentlich-rechtliche Ablösungsvereinbarung nach § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB zu sehen. Sollte der Kaufvertrag deshalb nach § 134 BGB nichtig sein, wäre er gleichwohl nach § 40 AO der Besteuerung zu unterwerfen. Soweit die Erschließungskosten nicht zur Bemessungsgrundlage gehörten, wenn die Gemeinde hoheitlich Erschließungsbeiträge erhebt, beruhe dies auf einer abweichenden rechtlichen Gestaltung.
Das Urteil
Der BFH hat entschieden, dass regelmäßig nur das unerschlossene Grundstück Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist, wenn eine erschließungspflichtige Gemeinde ein Grundstück veräußert und der Erwerber dabei die vertragliche Verpflichtung übernimmt, für die zukünftige Erschließung des Grundstücks einen bestimmten Betrag zu zahlen. Das gilt nicht nur, wenn der Erwerber die Erschließungskosten mittels gesonderten Vertrags übernimmt, sondern ebenso, wenn eine solche Vereinbarung im Grundstückskaufvertrag enthalten ist. Sie enthält regelmäßig einen vom Grundstückskaufvertrag zu trennenden öffentlich-rechtlichen Vertrag. Zudem ist eine privatrechtliche Vereinbarung über die Ablösung des Erschließungsbeitrags entsprechend § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB unzulässig. Im Falle einer unwirksamen vertraglichen Ablösevereinbarung wären die Erschließungsbeiträge durch Beitragsbescheid festzusetzen.
Urteilsanmerkungen
Mit seinem Urteil widerspricht der BFH der vorgehenden Entscheidung des Hessischen FG vom 24.08.2020 (5 K 1373/19) und der Auffassung des FA. Der BFH knüpft an seine ständige Rechtsprechung und insbesondere an sein Urteil vom 15.03.2001 (II R 39/99 – BStBl II 2002 S. 93) an und führt die dort aufgestellten Entscheidungsgrundsätze zutreffend fort. Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer ist nach
§ 8 Abs. 1 GrEStG die Gegenleistung. Diese setzt sich nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG bei einem Grundstückskauf u.a. aus dem Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen zusammen. Danach gehören zur Gegenleistung alle Leistungen des Erwerbers, die dieser nach den vertraglichen Vereinbarungen gewährt, um das Grundstück zu erwerben. Hierzu können auch Erschließungskosten zählen.
Voraussetzung für die Bebaubarkeit eines Grundstücks ist dessen Erschließung. Zu den Erschließungsanlagen gehören im Wesentlichen die Verkehrs- und Grünanlagen sowie die Anlagen zur Ableitung von Abwässern und zur Versorgung mit Elektrizität, Gas, Wärme und Wasser. Nicht zu den Erschließungsanlagen gehören die auf den Grundstücken selbst notwendigen Anschlüsse, wie Zufahrtswege und Anschlüsse an die Ver- und Entsorgungseinrichtungen (vgl. BFH-Urteil II R 39/99).
Die Erschließung ist grundsätzlich Aufgabe der Gemeinden. Die Abgabe, die der Grundstückseigentümer für die Erschließung eines Grundstücks zahlen muss, ist der Erschließungsbeitrag. Der Erschließungsbeitrag ruht als öffentliche Last auf dem Grundstück und wird von der Gemeinde durch Beitragsbescheid – je nach der Art der Erschließungsanlage – nach Maßgabe der Vorschriften der §§ 127 ff. BauGB oder nach Maßgabe der Kommunalabgabengesetze der Länder erhoben. Ob Erschließungskosten zur Gegenleistung gehören, richtet sich danach, was nach dem zivilrechtlichen Verpflichtungsgeschäft, das den Steuertatbestand (hier: § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG) verwirklicht, Gegenstand des Erwerbsvorgangs ist. Es kommt also darauf an, in welchem Erschließungszustand die Vertragsbeteiligten das Grundstück zum Gegenstand des Erwerbsvorgangs gemacht haben.
Ist ein Grundstück im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags bereits tatsächlich erschlossen, kann nur das erschlossene Grundstück Gegenstand eines solchen Vertrags sein. In diesem Fall gehören die im Kaufvertrag ausgewiesenen Kosten für die Erschließung grundsätzlich zur Gegenleistung. Ein Grundstück ist nur dann grunderwerbsteuerrechtlich als „erschlossenes“ Grundstück anzusehen, wenn für es die Beitragspflicht vollständig entstanden ist. Nach § 133 Abs. 2 BauGB entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlagen. Die Merkmale der endgültigen Herstellung regeln die Gemeinden durch Satzung (§ 132 Nr. 4 BauGB). Maßgebend ist der Zeitpunkt der endgültigen Herstellung im jeweiligen gesamten Bau- und Erschließungsgebiet und nicht des einzelnen Grundstücks.
Ist ein Grundstück dagegen im Zeitpunkt des Abschlusses des Grundstückskaufvertrags tatsächlich noch nicht erschlossen, ist nach zivilrechtlichen Maßstäben im Wege der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen zu ermitteln, ob Gegenstand der Übereignungsverpflichtung das Grundstück in seinem tatsächlichen unerschlossenen Zustand oder in seinem zukünftigen erschlossenen Zustand ist. Für den Fall, dass eine nach öffentlichem Recht erschließungspflichtige Gemeinde selbst die Veräußerin eines tatsächlich noch unerschlossenen Grundstücks ist und der Erwerber die Verpflichtung übernimmt, für die zukünftige Erschließung des Grundstücks einen bestimmten Betrag zu zahlen, hat der BFH nun aufsetzend auf sein o.g. Urteil II R 39/99 bestätigt, dass Gegenstand des Erwerbsvorgangs regelmäßig nur das unerschlossene Grundstück ist. Nicht von Bedeutung ist, ob die Verpflichtung zur Übernahme der Erschließungskosten in einem gesonderten Vertrag (wie im Urteilsfall II R 39/99) oder im notariell beurkundeten Grundstückskaufvertrag (wie im Urteilsfall II R 32/20) vereinbart wird. In beiden Fällen stellt die Vereinbarung regelmäßig einen öffentlich-rechtlichen Vertrag dar, der vom Kaufvertrag über den Erwerb des Grundstücks zu trennen ist. Eine Vermischung ist nicht möglich. Privatrechtliche Vereinbarungen über die der Gemeinde obliegende Erschließung sind nicht zulässig. Sie verstoßen gegen ein gesetzliches Verbot und sind nach § 134 BGB nichtig. Andernfalls könnten durch die Wahl der privatrechtlichen Handlungsform die Vorgaben des öffentlichen Rechts umgangen werden.
Der Grundstückskaufvertrag des Streitfalls ist daher in der Weise zu verstehen, dass die Vertragsparteien eine zivilrechtliche Vereinbarung über den Kauf des unerschlossenen Grundstücks getroffen haben und dass sie daneben eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung i.S.d. § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB über die Ablösung des Erschließungsbeitrags schließen wollten. Das Urteil ist insgesamt folgerichtig und als zutreffend zu bewerten. Festzuhalten ist, dass beim Erwerb von Grundstücken einer Gemeinde eine neben dem oder im Kaufvertrag aufgenommene Vereinbarung zur Übernahme der Erschließungskosten für die Grunderwerbsteuer regelmäßig nicht von Bedeutung ist. Das gilt sowohl für den hier entschiedenen Fall, dass ein noch zu erschließendes Grundstück von einer Gemeinde erworben wird, als auch für den Fall, dass die Gemeinde die Erschließungsanlagen endgültig hergestellt hat und damit ein bereits tatsächlich erschlossenes Grundstück veräußert. Denn selbst wenn Gegenstand des Erwerbsvorgangs das tatsächlich erschlossene Grundstück ist, übernimmt der Erwerber hier – mangels vorheriger Entstehung einer etwaigen persönlichen Beitragspflicht (§ 132 Abs. 2 i.V.m. § 134 Abs. 1 BauGB) – keine Verpflichtung der veräußernden Gemeinde. Diese kann nicht ihr eigener Schuldner sein. Vielmehr trifft die persönliche Beitragspflicht kraft öffentlichen Rechts den Erwerber selbst, da sie erst mit Übertragung des Grundstücks von der Gemeinde auf einen Dritten entstehen kann.